in: trend onlinezeitung 09/04
In den Ausgaben von 06/04 und 07/04 von trend wurden meine Auffassungen zur Werttheorie und zum Profitratenfall, die ich in der „Wissenschaft vom Wert“ (3. Aufl., Münster 2003) vertreten habe, von verschiedenen Autoren kritisiert (vgl. Daniel Dockerill in 06/04, Karl Müller im Editorial von 07/04, Robert Schlosser in einem Exkurs seiner Postonekritik in 06/04, und in einem Text zum Profitratenfall in 07/04). Gemeinsam ist den genannten Beiträgen ein Verständnis der Marxschen Theorie, das von mir und von anderen als „traditioneller Marxismus“ kritisiert wurde. Die Auseinandersetzung mit meinen Kritikern ist daher auch eine mit dem Traditionsmarxismus.
Substanzialistische oder monetäre Werttheorie
In der traditionellen Lesart der Marxschen Werttheorie wird eine weitgehend „substanzialistische“ Auffassung vertreten: Wert gilt dort als eine der einzelnen Ware eingeschriebene Eigenschaft, die sie allein im Rahmen des Produktionsprozesses erhält. Austausch und Geld spielen gegenüber der Produktion nur eine untergeordnete Rolle, indem der in der Produktion bestimmte Wert realisiert wird, oder eben manchmal auch nicht.
Zwar finden sich einige Äußerungen von Marx, die sich in diesem Sinne interpretieren lassen, außer einer ganzen Reihe von gegenteiligen Äußerungen spricht aber vor allem der Gang seiner Argumentation eine ganz andere Sprache. Die substanzialistische Auffassung bezieht sich im wesentlichen auf die ersten fünf Seiten des „Kapital“ (MEW 23, S.49-54), mit der Definition „gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit“ ist für sie schon alles Wichtige gesagt. Wertformanalyse, Fetischismus und noch ein eigenes Kapitel zum Austauschprozess – also genau die Abschnitte, die Marx mehrfach umformulierte, mit denen er sich offensichtlich schwer tat, passen in diese Sichtweise nicht so richtig hinein. In den traditionellen Darstellungen werden sie dann auch gar nicht oder nur ganz kurz behandelt.
Die substanzialistische Auffassung der Werttheorie kritisierte ich in der „Wissenschaft vom Wert“. Im Anschluss an bereits in den 70er Jahren geführte Diskussionen versuchte ich die Marxsche Werttheorie als „monetäre Werttheorie“ zu rekonstruieren: als Werttheorie, bei der sich der Wert gerade nicht an der einzelnen Ware festmacht, sondern erst der Austausch die Produkte wirklich in Waren (und damit in Wertgegenstände) verwandelt, wobei ein nicht nur vereinzelter sondern verallgemeinerter Austausch nur möglich ist durch Geld. Dabei schafft der Austausch keineswegs Wert aus dem Nichts, vielmehr vermittelt er die Arbeiten der einzelnen Warenproduzenten: die privat verausgabte, individuelle, konkrete Arbeit wird im Austausch zu gesellschaftlicher und das heißt in der bürgerlichen Gesellschaft: wertbildender, abstrakter Arbeit (eine ausführliche Auseinandersetzungen mit dem Thema findet man in Kapitel 6 der „Wissenschaft vom Wert“, eine kurz gefasste Darstellung habe ich in „Kritik der politischen Ökonomie. Eine Einführung“, Schmetterling Verlag 2004, Kapitel 3 gegeben). Dabei zeigt sich, dass die typische Frage, die von Vertretern der substanzialistischen Auffassung so gerne gestellt wird, „wo entsteht der Wert, in der Produktion oder in der Zirkulation?“, falsch gestellt ist. Es ist das spezifisch bürgerliche Verhältnis von Produktion und Zirkulation (private Produktion und nachträgliche Gesellschaftlichkeit im Austausch), die das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zum Wert verdinglicht.
Robert Schlosser versucht nun in dem oben erwähnten Exkurs, die substanzialistische Auffassung mit einem einigermaßen merkwürdigen Argument aufrecht zu erhalten: die Ware sei Träger von Wert, weil ihre Erzeugung Geld gekostet habe. Mir wirft er vor, dass, wenn ich die Ware außerhalb des Tausches nur als Gebrauchswert betrachte, ich dann wohl von einer Ware ausgehe, deren Produktion kein Geld gekostet habe. Und überhaupt müsse man an der einzelnen Ware als Träger von Wert festhalten, nur dann könne man von Verwertung bzw. von Wertvernichtung und Entwertung im Falle eines Scheiterns des Verkaufs sprechen.
Das Problem, um das es hier geht, hat jedoch überhaupt nichts damit zu tun, ob bei der Herstellung eines Produkts Geld verausgabt wurde oder nicht. Es geht um die Frage, ob die Arbeitsprodukte außerhalb des Tauschs nur Gebrauchswerte sind und sie – wie es Marx stets betont, wenn er explizit auf den Austauschprozess zu sprechen kommt – erst im Austauschprozess „einander tatsächlich gleichgesetzt und daher tatsächlich in Waren verwandelt werden“ (MEW 23, S. 101f) oder ob sie Waren (und damit Werte) auch außerhalb des Austauschs, nämlich im Produktionsprozess sind. Diese Frage kann man für eine Handvoll Beeren, die ohne Geld zu verausgaben im Wald gepflückt und auf dem Markt angeboten werden, genauso stellen, wie für das kostspielige Produkt eines industriellen Fertigungsprozesses.
Die Antwort auf diese Frage lässt sich geben, wenn man untersucht, was Wertgegenständlichkeit bedeutet. Den entscheidenden Schritt zu dieser Untersuchung machte Marx im Rahmen der Wertformanalyse. Wertgegenständlichkeit als ein gesellschaftliches Verhältnis der Produzenten lässt sich am einzelnen Ding überhaupt nicht fest machen, sie kann nur im Verhältnis zu einem anderen Ding erscheinen, indem das andere Ding, d.h. die zweite Ware, die mit der ersten ausgetauscht wird, als deren Wertgestalt gilt. Dieser Überlegung stimmt Schlosser zu, schreibt dann allerdings: „Der Umkehrschluß, dass sie [gemeint ist die einzelne Ware, M.H.] deshalb, weil sie als solche keine Wertgegenständlichkeit besitzt, kein Träger von Wert ist, ist jedoch falsch.“ Wie es aber angehen soll, dass ein Gebrauchswert zwar keine Wertgegenständlichkeit besitzt, aber trotzdem „Träger von Wert“, also doch Wertgegenstand ist, bleibt das Geheimnis von Robert Schlosser. Doch ist dies nicht die einzige Merkwürdigkeit. Einige Sätze weiter schreibt Schlosser: „Dass eine einzelne Ware Verkörperung vorausgegangener abstrakter Arbeit und damit Träger von Wert ist, einer bestimmten Wertgröße, merkt der Produzent resp. Eigentümer dieser Ware spätestens, wenn er diese Ware nicht verkaufen kann.“ Tatsächlich ist es aber genau umgekehrt: wenn der Eigentümer eine Sache nicht verkaufen kann, dann verwandelt sie sich nicht in Ware, ist nicht Wertgegenstand, sondern lediglich Gebrauchswert. Was der Eigentümer dieses nicht in Ware verwandelten Gebrauchswerts bemerkt, ist vielmehr, dass er die bei der Produktion angefallenen Kosten, eben nicht – wie er es gehofft hatte – durch Verwandlung dieses Gebrauchswertes in eine Ware wieder hereinbekommt (und er erst recht keinen Gewinn einstreichen kann). Gerade weil der Gebrauchswert, der sich nicht in Ware verwandelt daher auch kein Wertgegenstand ist, kommt der Eigentümer zur Einsicht, dass die ursprüngliche Wertsumme, die er in selbständiger Gestalt als Geld besessen und dann für die Produktion des Gebrauchswertes aufgewandt hatte, „vernichtet“ ist (vernichtet ist sie nur für ihn, für die früheren Verkäufer von Produktionsmittel und Arbeitskraft, die dieses Geld von ihm erhalten hatten, ist diese Wertsumme, unmittelbar nach dem Tausch jedenfalls, nicht vernichtet). Nur wenn der Eigentümer das Arbeitsprodukt verkaufen kann, verwandelt es sich in Ware und der Eigentümer merkt, dass es „Träger von Wert“ ist. Diesen Wert kann der Eigentümer mit seinen anfänglichen Kosten vergleichen und feststellen, ob er einen Gewinn gemacht oder nicht.
Beim substanzialistischen oder nicht-substanzialistischen Verständnis des Werts geht es nicht um irgendeine belanglose theoretische Spitzfindigkeit, sondern um den Charakter kapitalistischer Vergesellschaftung. Im Rahmen kapitalistischer Warenproduktion wird Arbeit privat verausgabt, ob und inwieweit sie als Bestandteil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit gilt, stellt sich erst im Nachhinein heraus, beim Austausch. Eine derartige Form von Gesellschaftlichkeit unterscheidet die bürgerlichen (auf Warenproduktion beruhenden) Verhältnisse von allen nicht-bürgerlichen Verhältnissen. Diese spezifische Gesellschaftlichkeit versucht Marx zu analysieren und verwendet dazu Begriffe wie abstrakte Arbeit oder Fetischismus, für die es in der bürgerlichen Ökonomie kein Pendant gibt. Wird davon ausgegangen, dass die Arbeitsprodukte bereits während des Produktionsprozesses, also der „privaten“ Verausgabung von Arbeit, Waren und Wertgegenstände sind, dann wird die Differenz der verschiedenen Formen von Gesellschaftlichkeit eingeebnet bzw. die für die bürgerliche Gesellschaft spezifische Vermittlung der Gesellschaftlichkeit über den Tausch wird zu einem untergeordneten nachträglichen Akt. Der Traditionsmarxismus hat daher die Tendenz, die Differenz zwischen der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie und der klassischen politischen Ökonomie faktisch einzuebnen (was von den Vertretern des Tradtionsmarxismus keineswegs beabsichtigt ist).
Der monetäre, nicht-substanzialistische Charakter des Werts ist nicht nur für die Analyse des Kapitalismus von entscheidender Bedeutung, was sich insbesondere in der Auffassung von Geld und Kredit zeigt (die in den meisten traditionsmarxistischen Beiträgen völlig unterbelichtet bleibe, vgl. meinen Aufsatz „Geld und Kredit in der Kritik der politischen Ökonomie“ in: Das Argument Nr. 251, 2003), dieser Charakter hat auch – in negativer Weise – für die Konzeption einer sozialistisch/kommunistischen Gesellschaft Bedeutung. Werden in einer solchen Gesellschaft Austausch und Markt als ökonomische Vermittlungsinstanzen zugunsten einer gesellschaftlichen Planung aufgegeben, dann muss man sich darüber im Klaren sein, welche Koordinationsleistungen vorher im Rahmen von Märkten erbracht wurden, und nun in anderen gesellschaftlichen Formen erbracht werden müssen. In der „Wissenschaft vom Wert“ hatte ich auf diesen Zusammenhang verwiesen – nicht um die Möglichkeit gesellschaftlicher Planung zu diskreditieren, sondern um allzu naive Sozialismusvorstellungen zu kritisieren, wie sie bei vielen Vertretern des traditionellen Marxismus vorherrschen, eben weil sie glauben, die entscheidende Vergesellschaftung habe schon innerhalb der Produktion stattgefunden.
Als grundsätzliche Diskreditierung hat aber wohl Daniel Dockerill meine diesbezüglichen Überlegungen verstanden, was ihn dann zu seiner Kritik an meinen werttheoretischen Auffassungen veranlasste. Dockerills Ausführungen in trend 06/04 machen jedoch einen sehr unfertigen Eindruck, so wird nicht einmal immer klar, wo er sich auf Texte von mir und wo auf Texte von Helmut Brentel bezieht und wenn er andeutet, dass sich hinter den „Formen des bürgerlichen Verkehrs“ ein „Inhalt“ befindet, der „zu anderer, adäquaterer Gestalt drängte“, dann wüsste man schon gerne etwas genauer welcher Inhalt dies ist, und vor allem wie er das macht: zu einer adäquateren Gestalt zu drängen.
Was wohl der Zentralpunkt seiner Kritik an meinen Auffassungen darstellen soll, ist die Behauptung, ich verwechsle „die Bestimmung des Werts durch die für die Herstellung einer Ware durchschnittlich notwendigen Arbeitszeit mit der Tatsache …, dass diese Durchschnittsbildung unter der Bedingung von Warenproduktion nicht von den Produzenten bewusst vollzogen wird, sondern als nachträgliche, gewaltsame Korrektur der unter ganz anderen Gesichtspunkten sich abspielenden Preisbildung“. Dockerills Kritik besteht demnach darin, dass er die von mir kritisierte Position, welche davon ausgeht, die Bestimmung des Werts sei mit dem Begriff der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit bereits abgeschlossen und alles weitere sei „Nachträgliches“, einfach wiederholt, ohne sich mit irgendeinem meiner Argumente auseinander zu setzen. (Eine erheblich differenziertere Kritik an meiner Position lieferte bereits vor Jahren Norbert Trenkle in der Wiener Zeitschrift „Streifzüge“. Links zu den Texten von Trenkle, sowie meine Repliken darauf finden sich auf meiner Website www.oekonomiekritik.de unter „Debatten“.)
Die Dürftigkeit der Ausführungen von Dockerill hinderten Karl Müller im Editorial von trend 07/04 allerdings nicht daran, in ihnen eine „schlüssige Widerlegung“ meiner Ansichten zu sehen. So ganz ausreichend schien ihm diese schlüssige Widerlegung dann aber doch nicht zu sein, so dass er noch ein Argument nachlegte. Nachdem er meine Aussage, abstrakte Arbeit sei ein „gesellschaftliches Geltungsverhältnis“ zitiert hatte (was ich damit meinte geht aus dem zitierten Satzfetzen allerdings nicht hervor), präsentiert er ein Zitat von Eugen Dühring, der auch von „Geltung“ spricht, um anschließend ein Engels-Zitat aus dem „Anti-Dühring“ anzuführen zu können, welches Müller dann für eine schlagende Kritik meiner Auffassungen hält. Nun spricht grundsätzlich nichts dagegen, statt eigene Argumente zu entwickeln, die von einem Autor A an einem Autor B geübte Kritik auf einen Autor C zu übertragen – aber nur wenn Autor C dasselbe sagt wie Autor B und Autor A tatsächlich diese Aussage kritisiert. Man sollte sich also wenigstens vergewissern, ob der Kontext einigermaßen stimmt, oder ob das einzig Gemeinsame nicht – wie hier – lediglich ein Wort ist („Geltung“), wobei sich die zitierte Kritik von Engels nicht einmal darauf bezieht. Mit der von Müller angewandten „Methode“ könnte man auch Marx von Engels erschlagen lassen, denn auch dieser spricht an mehreren Stellen im „Kapital“ von „gelten“. Statt nach Argumenten nach Zitaten der „Klassiker“ zu suchen, ist zwar keine durchgehende Charakteristik des Traditionsmarxismus, aber zumindest in den „marxistisch-leninistischen“ Parteien war diese Methode gang und gäbe.
Für die Unwilligkeit sich mit Kritik argumentativ auseinander zu setzen, liefert Müller auch noch ein anderes schönes Beispiel. So schreibt er über einen Disput zu Dockerills Kritik, dabei sei deutlich geworden, „dass es starke Aversionen auf Seiten von unabhängigen, autonomen Linken gegen die materialistische Dialektik gibt“ und gleich darauf heißt es wieder mit Bezug auf Dialektik, „dass hier heillose Verwirrung herrscht, die nicht zuletzt durch solche Marx-Interpreten, wie Heinrich, befördert wird“. Wenn Müller auf Kritik, an dem stößt, was er für Marxismus hält, dann sieht er diese Kritik offensichtlich nicht in Argumenten begründet (die er seinerseits kritisieren könnte), sondern in „Aversionen“, also irrationalen Abneigungen, oder diese Kritik verdankt sich „heilloser Verwirrung“. Kritiker müssen also irrational oder verwirrt sein, sonst würden sie nicht kritisieren. Dass solcherlei Dogmatismus meistens von einer starken Autoritätsfixiertheit begleitet wird, schimmert auch bei Müller durch, wenn er am Ende seines Editorials schreibt: „Ich empfehle daher ein ‚Kapital’studium mit dem Studium der Dialektik zu beginnen – übrigens ist dies keine Erkenntnis, die auf meinem Mist gewachsen ist, sondern eine Widergabe der Ansichten Lenins,“ womit die Richtigkeit dieser Empfehlung anscheinend über jeden Zweifel erhaben sein soll.
Müllers Ausführungen, die im Stil des unfehlbaren marxistisch-leninistischen Parteitheoretikers vorgetragen sind, entbehren nicht einer unfreiwilligen Komik und ich habe mich gefragt, ob ich überhaupt darauf eingehen soll. Aber leider hat diese in der Geschichte marxistischer Debatten keineswegs seltene Mischung aus dünner Argumentation, Autoritätsgläubigkeit und oberlehrerhafter Arroganz wahrscheinlich mehr zur Diskreditierung der Marxschen Kapitalismusanalyse beigetragen (und zwar bei denen, an die sie sich wendet) als alle bürgerlichen Kritiker zusammen.
Zu Robert Schlossers Artikel „Eine fragwürdige Kritik am Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate“
Obwohl bereits recht einfache Überlegungen die Marxsche Begründung des „Gesetzes vom tendenziellen Fall der Profitrate“ in Frage stellen, wurde dieses Gesetz im traditionellen Marxismus verbissen verteidigt. Solche Verbissenheit rührte häufig aus dem Glauben, dieses Gesetz sei notwendig, um eine Zusammenbruchstendenz des Kapitalismus oder zumindest dessen Krisenhaftigkeit zu begründen. Müsste man dieses Gesetz aufgeben, so der Umkehrschluss, dann gäbe es für den Umsturz der kapitalistischen Verhältnisse keine „objektive“ Grundlage mehr, denn dann müsste man ja zugeben, dass der Kapitalismus keine immanenten Schranke habe und im Prinzip auch krisenfrei funktionieren könne.
Aber selbst wenn das „Gesetz“ gültig wäre, würde es nicht leisten, was sich viele seiner Verteidiger von ihm versprechen. Denn über Ausmaß und Geschwindigkeit des Profitratenfalls kann es nichts aussagen: ein schneller Fall (z.B. in 5 Jahren von 12% auf 8%) mit erheblichen Auswirkungen, wäre genauso mit dem Gesetz vereinbar wie ein langsamer Fall (z.B. in 100 Jahren von 10,7% auf 10,3%), den kaum jemand bemerken würde. Die tatsächliche Aussage des Gesetzes – tendenzieller Fall der Profitrate in unbekanntem Ausmaß und in unbekannten Zeiträumen – ist viel zu schwach, um als Grundlage einer Krisentheorie dienen zu können. Andererseits lässt sich die Krisenhaftigkeit kapitalistischer Vergesellschaftung sehr gut ohne jeden Bezug auf dieses „Gesetz“ begründen (vgl. „Wissenschaft vom Wert“, S. 341ff).
Das Marxsche „Gesetz“ hatte ich in zwei Schritten kritisiert. Robert Schlosser kritisiert meinen zweiten Schritt, und glaubt anscheinend, dass er damit die Gültigkeit des Marxschen „Gesetzes“ gezeigt habe. Ich werde zunächst kurz die beiden Schritte meiner Kritik skizzieren und dann auf die Kritik von Schlosser eingehen.
I.
Die Profitrate eines Kapitals ist p = m / (c + v). Kürzt man diese Formel durch v so erhält man:
p = (m/v) / (c/v + 1)
Die Profitrate wird jetzt mit Hilfe der Mehrwertrate m/v und der Wertzusammensetzung c/v ausgedrückt. Von beiden Größen konnte Marx im ersten Band des „Kapitals“ zeigen, dass sie im Verlaufe kapitalistischer Produktivkraftentwicklung zunehmen. Im dritten Band des „Kapital“ behauptet Marx, dass die Profitrate fällt – trotz steigender Mehrwertrate, weil nämlich die Wertzusammensetzung stark steigen würde (MEW 25, S.221ff).
Für den Nachweis eines Falles der Profitrate, genügt es aber nicht, dass wir wissen, dass Mehrwertrate und Wertzusammensetzung steigen. Wenn bei einem Bruch Zähler und Nenner wachsen, dann hängt die Entwicklung des Zahlenwertes dieses Bruches davon ab, wer von beiden schneller wächst. Die Profitrate fällt nur dann, wenn der Nenner (d.h. der Ausdruck c/v + 1) schneller zunimmt als der Zähler (m/v). Um den Fall der Profitrate begründen zu können, müssten wir etwas über das Verhältnis der Wachstumsgeschwindigkeiten von Mehrwertrate und Wertzusammensetzung wissen, also die Frage beantworten können: wer steigt schneller?
Man kann natürlich versuchen, für eine bestimmte Periode empirisch abzuschätzen, wie stark Mehrwertrate und Wertzusammensetzung jeweils gestiegen sind. Abgesehen von den grundsätzlichen Problemen, auf die man stößt, wenn man versucht, Wertgrößen empirisch dingfest zu machen, nutzt einem eine solche Untersuchung für das anstehende Problem aber nichts. Denn es geht beim Marxschen Gesetz nicht um die Behauptung, die Profitrate sei in einem bestimmten Zeitraum gefallen. Marx versucht vielmehr eine notwendige Tendenz nachzuweisen, die immer gelten soll, wenn die kapitalistische Produktionsweise herrscht.
Doch lässt sich kein Grund angeben, warum die Wertzusammensetzung (genauer: c/v + 1) in der Tendenz schneller steigen soll als die Mehrwertrate. Daher lässt sich auch nicht begründen, dass es stets eine Tendenz zum Profitratenfall gibt (vgl. ausführlich „Wissenschaft vom Wert“ S.327-337; eine Kurzfassung ist in „Kritik der politischen Ökonomie. Eine Einführung“, Stuttgart Schmetterling Verlag 2004, S.148ff enthalten). Ergebnis des ersten Schrittes meiner Überlegungen ist, dass sich unter den von Marx betrachteten Bedingungen über die langfristige Tendenz der Profitrate gar keine Aussage machen lässt.
Dieses Ergebnis gilt unabhängig davon, ob das vorgeschossene Kapital im Laufe der Zeit wächst oder nicht. Denn auch für das gewachsene Kapital gilt: seine Profitrate ist nur dann kleiner als die Profitrate des alten (kleineren) Kapitals, wenn im Vergleich mit dem kleineren Kapital der Ausdruck c/v + 1 stärker gestiegen ist als die Mehrwertrate m/v.
In einem zweiten Schritt gehe ich über dieses Ergebnis hinaus (vgl. „Wissenschaft vom Wert“, S.338ff) und berücksichtige, was Marx im 13. Kapitel des ersten Bandes unter der Überschrift „Wertabgabe der Maschinerie an das Produkt“ (MEW 23, S.407ff, insbesondere S.414) entwickelt hat, was er im dritten Band aber nicht berücksichtigte. Durch eine neue, bessere Maschinerie wird die Produktivkraft der Arbeit gesteigert. Zur Produktion eines einzelnen Stücks ist jetzt weniger lebendige Arbeit erforderlich, der Kapitalist spart daher bei der Produktion je Stück einen Teil des bisher benötigten variablen Kapitals ein (dieser eingesparte Teil des variablen Kapitals werde mit Dv1 bezeichnet). Andererseits ist die neue Maschinerie in der Regel teurer als die alte und das heißt auf die einzelne Ware wird jetzt ein größerer Anteil des konstanten Kapitalwerts übertragen als vorher (Dc1 bezeichne den zusätzlich übertragenen konstanten Kapitalwert). Marx argumentiert nun, dass die neue Maschinerie nur dann eingeführt wird, wenn der auf das einzelne Produkt zusätzlich übertragene Wert des konstanten Kapitals (Dc1) geringer ist als der je Produkt eingesparte Teil des variablen Kapitals (Dv1), denn nur dann sinken die Herstellungskosten für den Kapitalisten. Es muss also gelten: Dc1 < Dv1 (MEW 23, S.414).
In diesem Zusammenhang taucht jener ominöse Faktor k auf, an dem sich Schlosser stößt: er drückt die gesamte Verbilligung einer Ware aus, nachdem sich deren neue verbesserte Produktionsmethode verallgemeinert hat und auch die Produktivkraftsteigerungen in anderen Branchen berücksichtigt werden, welche die Elemente des konstanten Kapitals und den Wert der Arbeitskraft verbilligen. Hat sich unter diesen Umständen der Wert der Ware halbiert, dann ist k = ½, ist der Wert der Ware auf ein Viertel gesunken ist k = ¼ etc.
Durch die von Schlosser erwähnte „Formelreihe“ konnte ich dann zeigen, dass die Profitrate unter den von Marx unterstellten, ganz allgemeinen Bedingungen bei einer Produktivkraftsteigerung nicht sinkt. Die Profitrate kann natürlich aufgrund von anderen Gründen sinken, z.B. aufgrund von steigendem Wert der Rohstoffe durch schwierigere Förderbedingungen, Verlangsamung der Abnahme des Werts der Arbeitskraft aufgrund von Klassenkämpfen etc. Solche Gründe führt Marx bei seiner Behandlung des „Gesetzes“ aber nicht an, denn es sind historisch spezifische Bedingungen, die manchmal vorliegen und manchmal nicht. Sie können daher lediglich einen zeitweisen Fall der Profitrate begründen, aber keine notwendige Tendenz zum Profitratenfall.
II.
Robert Schlosser erwähnt zwar den ersten Schritt meiner Kritik am Anfang seines Textes, bezieht sich dann aber nur auf den zweiten Schritt. Wie aus der Skizze meiner Argumentation deutlich wurde, ist der erste Schritt vom zweiten unabhängig, d.h. selbst wenn Schlossers Kritik an meinem zweiten Schritt richtig wäre, würde dies das Ergebnis des ersten Schrittes nicht entkräften. Allerdings beruhen die Argumente, die Schlosser vorbringt, auf einer nicht allzu sorgfältigen Lektüre meines Textes sowie einigen schlichten Irrtümern.
Wie schon erwähnt, benutze ich in dem von Schlosser kritisierten zweiten Schritt, was Marx im 13. Kapitel des ersten Bandes entwickelt: Sollen sich die Herstellungskosten verringern (und nur dann führen Kapitalisten eine neue Maschine ein) muss Dc1 < Dv1 sein. Schlosser bemerkt dazu, „dass diese Bedingung hier, wo es um die Entwicklungstendenz der Durchschnittsprofitrate des gesellschaftlichen Gesamtkapitals geht, eher fragwürdig ist“. Wie es zusammenpassen soll, dass man eine Bedingung beim Einzelkapital akzeptiert, diese Bedingung aber bei der Durchschnittsprofitrate, die aus den Profitraten genau dieser Einzelkapitale gebildet wird, als fragwürdig fallen lässt, erklärt Schlosser leider nicht. Etwas später akzeptiert Schlosser dann aber auch die Gültigkeit des Marxschen Arguments für die einzelne Ware (also das, was Marx im ersten Band des „Kapitals“ entwickelte), nicht mehr: „Kein Zweifel: die Herstellungskosten für das Einzelexemplar ihrer Ware soll sinken. Daraus ergibt sich aber nicht die von Heinrich verlangte Schranke (Dc1 < Dv1)“.
An der Bedingung Dc1 < Dv1 kommt Robert Schlosser allerdings nur vorbei, wenn er die Grundrechenarten neu erfindet. Ein Zahlenbeispiel mag dies illustrieren. Wurde auf das einzelne Produkt bisher ein konstanter Kapitalwert in Höhe von 6 übertragen (der sich aus verbrauchten Rohstoffen, Energie etc. und dem übertragenen Wertanteil der Maschinerie, Baulichkeiten etc. zusammensetzt) und war zur Produktion dieses Produkts bisher variables Kapital in Höhe von 4 erforderlich, dann betrugen die Herstellungskosten des einzelnen Produktes genau 6 + 4 = 10. Nun nehmen wir an, dass durch eine verbesserte Maschine die Produktion mit weniger Arbeit möglich wird, so dass das variable Kapital, welches für das einzelne Produkt aufgewendet werden muss, von 4 auf 1 sink. Pro Stück wird also variables Kapital in Höhe von 3 eingespart (Dv1 = 3). Nehmen wir weiter an, dass die verbesserte Maschinerie teurer ist als die alte und sie daher auf das einzelne Produkt einen um 2 höheren Wertteil überträgt (Dc1 = 2), dann wird jetzt an konstantem Kapitalwert 8 statt bisher 6 übertragen. Die neuen Herstellungskosten betragen somit 8 + 1 = 9, sind also gesunken. Und warum sind sie gesunken? Weil das zusätzlich übertragene konstante Kapital Dc1 (= 2) kleiner war als das eingesparte variable Kapital Dv1 (= 3). Wäre das zusätzlich übertragene konstante Kapital größer als das eingesparte variable Kapital (würde es z.B. 3,5 betragen), dann würden insgesamt 9,5 Werteinheiten konstantes Kapital übertragen und das macht zusammen mit variablem Kapital in Höhe von 1 Herstellungskosten in Höhe von 10,5 die Herstellungskosten also wären gestiegen. Sollen die Herstellungskosten sinken, dann führt kein Weg an der von Schlosser kritisierten Bedingung Dc1 < Dv1 vorbei.
Die Herstellungskosten einer Ware sind nun genau der Kapitalwert, der zur Produktion der einzelnen Ware erforderlich ist. Nehmen die Herstellungskosten ab (wie auch Schlosser zugesteht), dann nimmt auch der Kapitalwert, der zur Produktion einer einzelnen Ware notwendig ist, ab. Schlosser folgert allerdings:
„Man muss schon sagen, dass wir es hier mit einem ganz anderen, merkwürdigen Kapitalismus zu tun haben, der offenbar wenig mit dem von Marx dargestellten und kritisierten zu tun hat. Wo wären wir heute, wenn jede technische Revolution, jede neue Produktionsmethode den Kapitalwert verringert hätte?“ Und etwas weiter heißt es: „Nach der Investition sollen also c+v kleiner sein als vorher. Danach würde also nur investiert, wenn sich der Kapitalvorschuss verringert. Wenn sich der erforderliche Kapitalvorschuss ständig verringern würde, dann fragt man sich, warum die Kredite in dieser Wirtschaft eine immer größere Rolle spielen. Wenn das neue konstante Kapital kleiner sein muss, als das zu ersetzende variable Kapital, dann müssten die Kapitalisten jede neue Produktionsmethode locker aus dem Portemonnaie bezahlen können.“
Merkwürdig ist hier nicht der Kapitalismus, sondern Schlossers oberflächlicher Umgang mit meinem Text, sowie mit dem Problem selbst. Ich habe nirgendwo behauptet, dass sich der Kapitalwert, den die Kapitalisten investieren, verringern würde. In meiner Rechnung ging es immer nur um den Kapitalwert, der für die Produktion der einzelnen Ware notwendig ist, und dieser nimmt in der Tat ab (auch Schlosser gibt zu, dass die Herstellungskosten der einzelnen Ware sinken sollen). Der gesamte investierte Kapitalwert ist aber, wenn wir vom fixen Kapital abstrahieren (was auch Marx meistens so macht, weil er weiß, dass dessen Berücksichtigung nichts am Ergebnis ändert, sondern lediglich die Rechnungen verkompliziert) gleich dem Kapitalwert für die einzelne Ware multipliziert mit der Anzahl der Waren. Wird die Anzahl der produzierten Waren ausgedehnt (und häufig ist dies eine Bedingung, um die bessere Maschinerie überhaupt nutzen zu können), dann steigt der gesamte investierte Kapitalwert, obwohl der für die Produktion der einzelnen Ware notwendige Kapitalwert sinkt. Schlossers Entdeckung meiner merkwürdigen Vorstellung von Kapitalismus reduziert sich also darauf, dass er zwei elementare Begriffe – den Kapitalwert je Produkt und den Gesamtwert des investierten Kapitals – nicht auseinander hält.
Aber auch abgesehen von dieser Konfusion gilt: Für die Profitrate hilft der Verweis auf die mit dem Umsatz steigende Größe des investierten Kapitals nicht weiter. Der steigende Umsatz wird nämlich in der Regel von einer Vermehrung der Mehrwertmasse begleitet (wie auch Schlosser an einer Stelle anmerkt). Für die Profitrate heißt das: ein steigender Nenner (zunehmendes investiertes Kapital) geht mit einem steigenden Zähler (zunehmende Mehrwertmasse) einher. Um aber eine Aussage über die Profitrate machen zu können, müssten wir wissen, wer schneller steigt, Zähler oder Nenner und genau das wissen wir eben nicht.
Gemäß den Regeln der Bruchrechnung schlicht falsch ist es auch, wenn Schlosser schreibt: „Ob bei erhöhter organischer Zusammensetzung des Kapitals die Profitrate steigt oder fällt, hängt entscheidend davon ab, ob das Gesamtkapital größer wird oder nicht, ob also der Umsatz steigt oder fällt.“ Ob bei erhöhter organischer Zusammensetzung des Kapitals die Profitrate steigt oder fällt, hängt davon ab, wie stark die Mehrwertrate steigt (vgl. oben Abschnitt I), von der Höhe des Umsatzes hängt dagegen die Mehrwertmasse ab. D.h. Schlosser wirft hier ganz offensichtlich die beiden verschiedenen, oben genannten Formeln für die Profitrate (Mehrwertmasse im Verhältnis zum vorgeschossenen Kapital bzw. Mehrwertrate im Verhältnis zu Wertzusammensetzung plus 1) durcheinander.
Überraschenderweise scheint Robert Schlosser aber zu glauben, die Profitrate sei sowieso nicht weiter wichtig. Er schreibt: „Die wirklichen Kapitalisten haben aber eh mehr Interesse an dem, was hinten herauskommt (m) als an dem, was sie vorne hineinstecken (c+v). Sie tun das, was erforderlich ist, um m zu vergrößern“. Wenn dies zuträfe, dann wären die Kapitalisten nicht an maximaler Kapitalverwertung, also einer maximalen Profitrate m/(c+v) interessiert, sondern an einer maximalen Mehrwert- bzw. Profitmasse m – die sie mit beliebig großem Kapitalaufwand erkaufen. Dies wäre nun in der Tat ein ziemlich merkwürdiger Kapitalismus.
Ich will den Konfusionen in Schlossers Text nicht weiter folgen, nur ein Punkt sei noch erwähnt. Marx war davon ausgegangen, dass die neuen verbesserten Maschinen stets teurer sind als die alten. Diese Annahme lässt sich zwar durch eine Vielzahl von Beispielen stützen, doch ist kein Argument ersichtlich, dass dies notwendigerweise immer so sein muss. In der „Wissenschaft vom Wert“ hatte ich als Gegenbeispiel die Entwicklung der Computer angeführt, wo (bisher jedenfalls) die neuen leistungsfähigeren Geräte nach einer Weile stets billiger waren als die alten. Zu diesem Argument schreibt Schlosser:
„Gegen Marx, der davon ausging dass das neue fixe Kapital in der Gestalt der Maschinerie trotz Produktivkraftsteigerung teurer bleibe als die alte, führt er das lächerliche Beispiel der Verbilligung der Computer an. Dazu ist erstens zu sagen, dass sich die Entwicklung der Produktivkraft bei den Computern (ähnlich wie bei Autos und anderer Hightech) nicht im Preisverfall ausdrückt, sondern darin, dass immer leistungsfähigere Geräte für das gleiche Geld zu haben sind.“
Lächerlich scheint mir hier vor allem die Unwilligkeit zu sein, selbst einfachste Fakten zur Kenntnis zu nehmen. Wer vor ca. 3-4 Jahren einen PC mittlerer Leistung kaufte, erhält heute für wenig mehr als die Hälfte des damaligen Verkaufspreises einen Rechner mit in jeder Hinsicht besseren Leistungsmerkmalen, was sich unschwer durch das Studium entsprechender Anzeigen und Preislisten bestätigen lässt.
In meiner Kritik am Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate habe ich das Argument, dass die neue verbesserte Maschine auch absolut billiger sein kann als die alte Maschine, nicht benutzt. Im Moment ist dies auch eher die Ausnahme. In meinen Rechnungen hatte ich genauso wie Marx angenommen, dass die verbesserte Maschine teurer ist als die alte, so dass Wertzusammensetzung des Kapitals und Wertabgabe an das Produkt steigen (eine Annahme, die, wie ich gezeigt habe, aber nicht ausreicht, um den Profitratenfall schlüssig zu begründen). Angeführt hatte ich die von Schlosser so heftig bekämpften Überlegungen nur deshalb, um vor genau der Ignoranz einfachster empirischer Sachverhalte zu warnen, wie sie leider auch von Robert Schlosser demonstriert wurde.